Das Delta
Roman. Haymon Verlag
2007
Also beginne
ich, Worte zu sammeln, eins nach dem andern, immer wenn ich an einem vorbeikomme.
Ich warte auf sie. Was manchmal Tage dauern kann. Auf dem Fluß, wenn
von einem der kreuzenden Lastkähne herübergerufen wird. Von den
fluchenden Tagelöhnern beim Löschen der chiatta. Am Fluß, wenn ich von
Bombolo auf die terra ferma, diesem seltsamen Land hinterm Deich,
geschickt werde.
Die
Geschichte der Geschichten eines gewissen Fedele Conte Mamai, als
Säugling im Schwemmland des Po aufgefunden, an Bord einer chiatta auf
dem Großen Fluß herangewachsen.
Die Geschichten der Geschichte
von Aal und Fluten, von der Erfindung eines Schweinsblasenrezeptes, der
vecia col pist und dem lavoriero, der Frau am Kanal und dem Schwein auf
dem Eis; von Maierlengo, dem Dorf hinter dem Deich, und vom namenlosen
Dorf hinter der Staumauer am Berg; von den großen Vorhaben der
Ingenieure und den noch größeren der Natur.
Die Geschichte der Geschichten vom Essen und vom Weiterziehen, von den
Sprachen und den Sprichwörtern.
Vom Delta und vom Δ.
Rezensionen
Der treue Graf Niemals.
Kurt Lanthalers charmanter Italo-Roman "Das Delta"
Das Po-Delta ist ein bizarres Stück Landschaft. Da gibt es Menschen wie
den immer trunkenen "Bombolino", die ausschließlich auf dem Wasser
leben. Argwöhnisch schauen sie zu den Uferbewohnern, die in der
finsteren Osteria einen über den Durst trinken. Regelmäßig wird das
Delta von Überschwemmungen heimgesucht, bis eine große Flut alles
fortreißt und das karge Schwemmland um seine letzten Bewohner bringt.
Zwischen
Geschrei, Fluss und Aal wächst der kleine Fedele Conte Mamai heran.
Nicht nur das Sprechen muss er sich selbst beibringen, auch sonst ist
er seinem Schicksal überlassen. Um all der Tristesse zu entfliehen,
muss ein Künstlername her: Er ernennt sich zum Grafen, als ihn ein
weltenbummelnder Feuerschlucker fragt: "Allora, was ist, willst du
mitkommen?" Die Antwort: "Nie im Leben nicht, mit dir." Con-te? Ma-mai.
(...)
Die Kindheit im rauen Flussdelta hat aus Fedele Conte Mamai
einen Überlebenskünstler gemacht, der nun flussauf- und flussabwärts
durch die Lande zieht. Hauptsache fort vom Delta und seinem trostlosen
Dorf Maierlengo. Mal verdingt er sich auf dem Jahrmarkt, als Statist
beim Film, mal als Grenzschmuggler. Gelegenheiten gibt es viele, mit
dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Doch schafft er es sogar zum
Ingegnere. Und hat eine ausgeprägte Vorliebe: Essen. Ohne einen Koffer
bottarga, baccalà, babà und bresaola tritt Fedele keine Reise an. (...)
Kurt Lanthaler ist mit "Das Delta" ein
Meisterstück der pikaresken Erzählkunst gelungen.«
(Judith
Eckstein, 3sat / denkmal)
»Ein Hoch auf den
Genuss!
Es
ist eine außergewöhnliche Geschichte, die der in Berlin und Zürich
lebende Südtiroler Kurt Lanthaler in seinem neuen Roman erzählt. Es
ist eine außergewöhnliche Figur, die darin ihre Geschichte vor dem
Leser ausbreitet. Dieser Fedele Conte Mamai, ein Findelkind, spiegelt
in seinem ergreifenden Erinnerungsmonolog, den Lanthaler in ein
geschmeidiges, von Melodie getragenes, dem Umgangssprachlichen präzis
abgelauschtes Idiom überträgt, sechzig Jahre Geschichte. Sechzig
Jahre des Lebens im Delta des italienischen Flusses Po, ausgesetzt den
Naturkatastrophen, den Überschwemmungen, kämpfend mit den sozialen
Katastrophen wie Armut, despotische Behördenwillkür.
(...)
Dies
alles ist nicht nur hinreißend in vielen scharf umrissenen Szenen
erzählt. Das Buch ist auch deshalb so bewegend, weil ein solch
menschliches Plädoyer für die Kulturen des Abseits schon lange nicht
mehr auf dem Buchmarkt zu finden und zu lesen war. Vor allem nicht mit
einer solchen Sprachmacht und mit einem solchen Reichtum an lustvoll
linguistischen Variationen, die von selten hoher lyrischer
Qualität sind.«
(Rheinischer Merkur,
-aky)
»Kurt Lanthaler
gelingt es in seinem schmalen, eleganten Band trefflich, die
unbestimmte Sehnsucht seines Ich-Erzählers auf den Leser überspringen
zu lassen. Meisterlich, wie in knappen Sätzen eine ganz eigentümliche
Stimmung erwächst. (...)
Dem
sumpfgeborenen, elternlos aufwachsendem Erzähler wird dieser Lebensraum
bald zu eng. Dem Aal, seinem Leittier, den mit Reusen zu fangen er als
ersten Lebensunterhalt gelernt hat, zieht er stromaufwärts
nach.
Vom einfachen Wanderarbeiter bis zum Ingegnere bringt er es; von Genua
bis nach Sizilien und Sardinien verschlägt es ihn. Dem Leser erschließt
sich durch seine Streifzüge das Italien der letzten vierzig Jahre: an
Antonioni erinnert das Szenario des Po, und Wim Wenders unwirtliche
Bilder einer sich amerikanisierenden europäischen Provinz tauchen vor
dem Auge des Lesers auf. Und fasziniert erlebt er hier, wie aus wenigen
Elementen ein dichtes Netz von Assoziationen wächst. Er kann diesem
Weben buchstäblich lauschen. Das unterscheidet das Buch auch von
Lanthalers vorangegangenen Werken. So vergnüglich sich schon seine
Tschonnie-Tschennet-Krimis gelesen haben: Dieser Schreib- und
Bilderfluss macht eine ganz neue Qualität aus. Viele Leerstellen lassen
hoffen, dass sich da noch einige Nachfolgebände hineinverweben lassen.
(...)
Abschließend
ein Satz, der so ganz und gar Originalton Lanthaler ist: "Gleichgültig,
was wir essen werden, ohne Aal werden wir nicht gegessen haben." So
schön kann der Gebrauch des futurum exactum sein!«
(Buchkultur,
Thomas Leitner)
»Lanthaler
präsentiert eine wilde Geschichte von einem, der das Unstete
seiner Heimat widerspiegelt, einer Heimat, die sich stetig verändert,
nicht zuletzt, weil deren Bewohner längst nicht mehr mit, sondern nur
noch am Delta leben. Mit viel hintergründigem Witz lässt Lanthaler
Fedele seine Geschichte erzählen, schickt ihn durch ganz Italien und
lässt ihn doch immer wieder zum Fluss zurückkehren. (...) Fedele nimmt
einen mit, lockt mit seinem ganz eigenen, kantigen und doch sehr
musikalischen Sprachrhythmus und weiß mit wenigen Sätzen präzise Bilder
zu schaffen.
Auf 160 Seiten und 48 Kapitel hat Lanthaler seinen Roman komprimiert,
packt eine wundersame Episode an die nächste, ist kritisch und
leidenschaftlich. Er fühlt sich ein in die Landschaft und ihre
Menschen, hat ein offenes Ohr für die aberwitzigen Geschichten und
verschütteten Ideen, die sprachlichen und kulinarischen Eigenheiten.
Mit „Das Delta“ hat Kurt Lanthaler wieder einmal gezeigt, dass er ein
großer, eigenwilliger Erzähler ist.«
(SWR2 Die Buchkritik,
Frank Rumpel)
unter
dieser Adresse ist die vollständige Rezension als podcast des SWR2 zu
hören:
http://mp3.swr.de/swr2/literatur/buchkritik/kurt-lanthaler-das-delta.6444m.mp3
»Fedele Conte
Mamai spiegelt in seinem vielfach gebrochenen, stets im Konkreten
verharrenden Erinnerungsmonolog, den Lanthaler in einem sehr biegsamen,
hoch melodischen, dem Umgangssprachlichen unerhört präzis abgehörten
Idiom ablaufen lässt, 60 Jahre Geschichte. Jahre des Lebens im
Flussdelta des Po, ausgesetzt den Naturgewalten und Überschwemmungen,
kämpfend mit Armut, mit Behördenwillkür, mit Aalen und auch mit
technologischen Großprojekten, die unterfinanziert sind, letztlich aber
die Existenz der Alteingesessenen und ihre Kultur nachhaltig
unterminieren. (...)
Das ist hinreißend in vielen, kurzen scharf
skizzierten Szenen erzählt. Das ist auch deshalb so bewegend und so
beeindruckend geraten, weil ein solch durch und durch menschliches
Plädoyer für eine Kultur des Abseits schon lange nicht mehr zu lesen
war. Vor allem nicht mit einer solch sinnlichen Sprachmacht, einem
solchen Sensus für Rhythmus, Beschleunigung und Musikalität, mit einem
solchen Reichtum an lustvoll linguistischen Variationen.
(...)
Lanthalers Roman dürfte mit seiner Oralität, seiner Funken schlagenden
Wendigkeit, seinen wie mit dem Ohr gemeißelten Sätzen als Rezitation
eine imposante, durchschlagende und betörende Wirkung bei
seinem
Publikum erzielen. Und es ins Staunen bringen. Für die Veranstalter
einer "Delta"-Lesung dürfte eine anschließende Bewirtung Pflicht sein,
selbstredend mit Baccalà und Babà, mit Bresáola und Bottárga.«
(Alexander
Kluy. Online-Rezension, www.literaturhaus.at)
... ein Schelmenroman, fulminant verfasst, ein schöner, lustvoller
Sprachschmaus...
(Park
Avenue)
»...
eine wilde Geschichte von
einem
Getriebenen, einem Heimatlosen, den es vom Delta des Po aus durch ganz
Italien spült – eine wundersame Reise, gekonnt erzählt.«
(Frank
Rumpel, Online-Rezension, www.titel-forum.de)
»Lanthalers
Roman hält sich naturgemäß nicht an den Faden einer einzigen
Biographie, so etwas Amorphes wie das Delta kann nur mit
ausschweifenden, angeschwemmten und fortgetriebenen Partikeln erzählt
werden. Mal ist die Handlung fortgespült, mal geht sie als seltsame
Nebelfigur irgendwo an Land, will man den Roman mit Händen fassen
ergeht es einem wie im Schilf, nichts ist verfestigt, aber mit der Zeit
wird alles zu einem Stück Land, das sich pünktlich überschwemmen lässt.
(...)
Lanthalers Roman ist ein genial gelungener Versuch, etwas
Schlierig und Diffuses wie dieses Zwitterwesen von Wasser und Land zu
beschreiben. Zu diesem Zweck ist der Roman in 48 Kapitel aufgesplittet,
die sogar ganz cool wie in einem Sachbuch als Inhaltsverzeichnis
zusammengefasst sind. Die Kapitelüberschriften sind immer italienisch
deutsch gehalten, zwitterhaft eben, wie der ganze Text.
„Noch bevor
ich denken kann, schüttle ich den Kopf. Was soll ich erzählen?“ Diese
Sorge seiner Hauptfigur hat der Autor elegant widerlegt, durch
freches, kühnes, durchgeschütteltes Erzählen.«
(Helmuth
Schönauer.
Online-Rezension, www.schoenauer-literatur.com)
»Kurt Lanthaler zeichnet in "Das Delta" ein ganz außergewöhnliches
Italienbild: Es ist ein Italien, wo sich der Nebel zur Tür der Osteria
Zum halbierten Christus hereinmacht, langsam die Treppe herabschleicht
und sich wie ein alter Bekannter niederlässt, knapp den Hut hebt, um zu
grüßen und für den Rest den Mund hält. (...) Die Geschichten, die
Lanthalers halbstarker Protagonist dem Leser in diesem kurzen,
atmosphärischen Roman mit zweisprachiger Färbung andreht, sind witzig,
sprühend und charmant; an Pointen und trockenem Humor mangelt es ihnen
jedenfalls nicht.«
(Birgit Holzner,
Rezensionen des Brenner-Archivs)